Arbeiten eines künstlerischen Kartierungsprojektes: „DEUTSCHLAND-Befragung – wir sprechen uns“
„WIR SPRECHEN UNS“, 2007
© Merja Herzog-Hellstén, VG-Bild-Kunst, Bonn, 2007.
Merja Herzog-Hellstén führt wiederholt künstlerische Kartierungen durch. Diesmal war das darzustellende Objekt aktiv an seiner Kartierung beteiligt: „Ein Kubikdezimeter DEUTSCHLAND“ war das Thema Ihrer DEUTSCHLAND-Befragung, deren Ergebnisse die Finnin in der Synart Art Gallery, Frankfurt am Main zwischen 28.2. und 31.3.2007 zeigte.
„Merja Herzog-Hellstén hat seismographisch kartiert, irisierend in der Umgrenzung und in der Binnenstruktur, im Unikat als Bestandteil des Seriellen. Eine konzeptionelle Kartierung der gleichzeitigen Offenheit und Verschlossenheit von Gedanken und Empfindungen. Merja Herzog-Hellstén gibt Deutschland ein Gesicht, das ihm gut zu Gesicht steht – oder stünde? 82.000.000 x 1 Kubikdezimeter Deutschland: Vielleicht gelingt es nur der Kunst, daraus eine Einheit zu machen.“
Thomas I. Becker
PROJEKT „D“
2006/ 2007/ 2008 …
SCANNER Licht-Kunst Installation zur LUMINALE 2008 Frankfurt_Offenbach 06.04. – 11.04.2008, Rathaus Offenbach/ Main, Berlinerstr. 100.
Schönheitspunkt: Offenbach/ Main
Das Motiv WIR SPRECHEN UNS der finnischen Künstlerin Merja Herzog-Hellstén stellt die DEUTSCHLAND-Karte mit einem Gesicht dar. In ihrer Licht-Kunst-Installation „SCANNER“ hat das Motiv WIR SPRECHEN UNS zusätzlich einen Punkt für den Ort – hier OFFENBACH/ MAIN, wo der „SCANNER“ die Farben des Ortes symbolhaft einscannen wird. Die wechselwirkende Kommunikation zwischen Mensch und seiner Umgebung (Land) in Farben übersetzt ist der Kerngedanke dieser Arbeit.
Zur Auswahl seiner individuellen „lokalen Farbe“ stehen dem Besucher 216 Farben zur Verfügung. Eine Landschaftspostkarte als abstraktes Farbfeld von OFFENBACH/ MAIN trägt das Ergebnis dieser künstlerischen Kartierung im Anschluss zur LUMINALE vor und ist in Offenbach sowie durch die Künstlerin erhältlich.
Das Projekt wird unterstützt durch: Stadt Offenbach, Kulturamt und Dieter Faulenbach da Costa.
http://www.luminapolis.com/max/project_153.pdf
Fragen zum Projekt DEUTSCHLAND GESICHT
1. IST ES EINE LANDKARTE?
Ja. Die Darstellung basiert auf den Umrisslinien der BRD. Die Linien innerhalb Deutschlands sind erfunden und dienen der Verdeutlichung des Gesichtcharakters. Wenn die verschiedenen Kartendarstellungen in öffentlichen Medien beispielsweise bei Wettervorhersagen in Zeitungen oder Fernsehsendern verglichen werden, variieren die Proportionen stets leicht voneinander, aber das Gesicht ist immer Bestandteil aller Darstellungen.
2. IST DAS GESICHT UND BZW. ODER DIE LANDKARTE SOFORT FÜR JEDE(N) BETRACHTERiN OFFENSICHTLICH?
Kaum jemand sieht in der Darstellung sowohl das Gesicht als auch die Deutschlandkarte gleichzeitig. Wer gerne Karten anschaut, tendiert dazu, die Umrisse Deutschlands zuerst zu erkennen. Andere entdecken zunächst ein Gesicht. Allen gemein ist die Überraschung, dass die Darstellung neben dem zuerst Erkannten noch eine weitere Abbildung enthält. Die Reihenfolge des Erkennens ist abhängig vom individuellen Blickwinkel.
3. IST DAS GESICHT EINES MANNES ODER EINER FRAU DARGESTELLT?
Für mich ist es seit Anfang der 90er Jahre das Gesicht eines Jungens. Allerdings variieren in diesem Punkt die Wahrnehmungen der BetrachterInnen. Ganz bewusst habe ich hier keine eindeutigen Merkmale dargestellt.
4. WAS WAR ZENTRAL BEI DER DARSTELLUNG DER SINNESORGANE?
Im Profil zeigt das Gesicht einen geöffneten Mund, die Nase ist leicht gestupst, die Augenbrauen buschig. Zusammen mit lockigem Haar war das Gesicht durch die Umrisslinien vorgegeben. Der zum Sprechen offene Mund leitete mich bei allen weiteren Organen die gleichermaßen aktive Aufnahme- und Kommunikationsbereitschaft symbolisch wiederzugeben. Deshalb schaut das Auge mit Klarheit, Offenheit und Konzentration in die Weite hinein und das Ohr ist bereit zuzuhören und nicht vom Haar bedeckt.
5. INWIEWEIT STEHEN DIE GESICHTSMERKMALE MIT DEUTSCHLAND IN BEZIEHUNG?
In der Tat habe ich mich sehr bewusst um optimistische Charakterzüge bemüht ohne dadurch unrealistisch wirken zu wollen. Diese Merkmale stehen direkt mit den formellen Gegebenheiten der Karte in Verbindung und damit mit dem sich daraus ergebenden kommunikativen Bild. Die Bereitschaft zur Kommunikation und Offenheit soll erkennbar werden.
6. WARUM TRÄGT DIE SERIE DEUTSCHLAND-GESICHT DEN TITEL „WIR SPRECHEN UNS“?
Dies ist das Ergebnis mehrjähriger Beobachtungen und Überlegungen zum Deutschland-Gesicht.
Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass es kaum möglich ist „ein Land zu kennen“.
Oberflächlich lassen sich landestypische Eigenschaften sehr früh erkennen. Tatsächliche Zusammenhänge und gesellschaftliche Merkmale eines nationalen Systems beschreiben zu können setzt dagegen ausgeprägtes Beobachtungsvermögen und eine intensive, gedankliche Auseinandersetzung voraus. Angesichts dynamischer Veränderungen handelt es sich hierbei um ein sehr komplexes Thema.
Durch das SPRECHEN über die zahlreichen „Landes-Inhalte“ verbinden sich die Themen und die Menschen miteinander. Eine gegenseitige Kommunikation steckt sozusagen im Deutschland-Gesicht „WIR SPRECHEN UNS“.
7. WER KENNT DAS LAND?
Diese Frage ist sehr gut und es scheint mir wichtig diese Frage öfters zu stellen.
In meinem Kartierungsprojekt „Deutschland-Befragung“ habe ich 2006-2007 deutsche und nicht deutsche (aber mit Deutschland eng verbundene) Bürger nach dem für sie deutschlandtypischen Inhalt eines virtuellen Würfels (Kantenlänge 10 cm) befragt. Das Ergebnis der Umfrage (als Poster erhältlich) und damit der Inhalt des Kubus war beinahe so vielschichtig wie die Anzahl der Befragten. Die Schilderung des deutschlandtypischen Würfelinhaltes war stets individuell, abhängig von der momentanen Situation und geprägt durch den aktuellen Wissenstand oder Stimmungszustand der TeilnehmerInnen. Die große ein- und ausdehnende Plastizität der Themen und deren variierenden Auffassungen bieten uns kaum feste Punkte, die dauerhaft mit Gültigkeit überzeugen, stattdessen landen wir bei einer Fülle von Vermutungen.
8. WIE SIND SIE AUF DIE IDEE DER SCANNER-DARSTELLUNG GEKOMMEN UND WAS MACHT DER SCANNER?
Der SCANNER steht immer mit dem Ort in Beziehung, an dem er sich befindet. An den kurzen Seiten des SCANNERS ist jeweils ein Deutschland-Gesicht mit einem Punkt für den aktuellen Standort abgebildet.
Im Anschluss an mein erstes Kartierungsprojekt „Deutschland-Befragung“ (2006-2007, vgl. Frage Nr. 7) suchte ich nach Möglichkeiten, möglichst viele Menschen innerhalb kurzer Zeitspanne für eine kommunikative Kartierung zu erreichen. Durch die Ergebnis-Vielfalt der Themen und Antworten entschied ich mich in der Arbeit SCANNER, die Farben an sich zu benutzen, als Übersetzer von Themen und Empfindungen.
Der SCANNER stellt 216 (browser-unabhängige, d.h. auf dem ganzen Globus einheitlich festgelegte) Farben zur Auswahl. Der/Die interessierte BesucherIn überlegt für sich und benutzt sich selbst als Scanner, welche Farbe aus seiner/ihrer individuellen Ansicht für den aktuellen Ort stehen könnte.
Die Nummer der ausgesuchten Farbe wird anschließend von den Teilnehmern in ein leeres Quadrat im Rasterhintergrund des Kartengesichts eingetragen und positioniert.
Nach Ablauf der Interaktion zwischen den Bürgern/Besuchern und SCANNER wird eine Farbfeld-Landschaftskarte im Postkartenformat mit dem Motiv „WIR SPRECHEN UNS“ vom jeweiligen Standort produziert.
9. WOHIN GEHT DER SCANNER ALS NÄCHSTES?
Interessierte Städte und Kommunen können bei mir direkt anfragen, um diese künstlerisch-gesellschaftliche Kartierung auch in ihrer Stadt mit dem SCANNER durchführen zu können.
10. GIBT ES EINE BESTIMMTE ANNÄHERUNG WIE DER EINZELNE BETEILIGTE SEINE/IHRE FARBE FINDEN KANN?
Im Grunde ist die Methode unbestimmt, wie die eigene Farbe gefunden wird. Zentral ist der Gedanke, dass jede(r) Einzelne hier nach seiner/ihrer möglichst individuellen Farbe, frei von politischen Farbprägungen, für den Standort sucht. Hilfreich hierzu ist zu überlegen, welche Ortskenntnisse einem bekannt sind und mit welchen Sinneswahrnehmungen die Situation in diesem Ort verbunden ist.
Das heißt z.B.:
Wie sind die Geräusche am Ort?
Was bewegt sich hier?
Gibt es bestimmte Gerüche?
Wie sind die klimatischen Bedingungen?
Wie ist die Struktur der Stadt angeordnet?
Die individuelle Ansammlung von Fakten, Überlegungen und Gefühle ergeben dann recht bald die dazugehörige Farbe….
Merja Herzog-Hellstén
FARBFELDER ZUR STADT OFFENBACH AM MAIN
Kartierungsergebnis zur Licht-Kunst-Installation SCANNER (Während der LUMINALE)
Zahlreiche Interessierte haben Ihre Überlegungen und Empfindungen über die Stadt Offenbach in einer individuell ausgesuchten Farbe übersetzt. Sowohl Auswahl der Farbe als auch örtliche Platzierung des Farbfeldes war von den Beteiligten frei wählbar. Finden Sie Ihre Farbe ODER welche hätten Sie gewählt?
Die Kartierungsergebnisse der lokalen Farben Offenbachs als Postkarte, circa 3.000 Stück, wurden in Bibliotheken, Buchläden, Museen und ausgesuchten Cafés kostenlos ausgelegt.